4. EGO(n) – der Schatten zwischen mir und meinen Liebsten
Es waren etwa drei goldene Jahre mit Egon. Alles verlief wunderbar, wir hatten die gleichen Interessen, er verstand sich bestens mit meinem Freundeskreis, wir hatten viel zu lachen, er vergötterte mich und betonte immer wieder, wie dankbar er sei, dass wir uns gefunden haben. Ja, zum Teil hatten wir dieselben Gedanken, was mich darin bestärkte, dass wir für immer zusammengehörten. Er war einfach wie der passende Deckel zu meinem Topf.
Rückblickend ist mir klar, dass sich langsam und unauffällig verschiedene Schatten eingeschlichen haben – die ich mit der rosaroten Brille gar nicht wahrgenommen habe.
Red Flag – meine Familie
Immer wieder kamen Bemerkungen zu Aussagen meiner Eltern, die ihm nicht passten. Er leistete volle Überzeugungsarbeit, um mir klarzumachen, wie schlecht sie mir nicht tun. Wie wenig sie für mich da seien. Dass ich mir mehr Unterstützung von ihnen erwarten sollte. Wie es denn sein könne, dass ich beim Telefonieren mit ihnen nicht Deutsch spreche, sondern meine Muttersprache. Eigentlich wurde mir schleichend, nach und nach, eingetrichtert, wie schlecht sie mir eigentlich tun – und dass ich ohne sie besser dran sei.
Mein Bruder war in seinen frühen Zwanzigern in der Selbstfindungsphase, hatte keinen Job, brach jede Ausbildung ab und war sich selbst im Unklaren, was er vom Leben wollte. Egon stempelte ihn als Sozialschmarotzer mit großer Klappe ab. Wie reagierte ich darauf? Um die Beziehung nicht zu gefährden, beschränkte ich den Kontakt immer mehr auf ein Minimum. Ich spielte tatsächlich mit dem Gedanken, den Kontakt völlig abzubrechen. Ich tat es aber nicht – so wurde die Propaganda gegen meine Familie immer stärker. Das passierte natürlich nicht von heute auf morgen. Das zog sich über viele Jahre. Es dauerte noch mehr Jahre, bis ich verstanden habe, was er eigentlich bewirken wollte.
Meine Eltern haben mir zuliebe nie ein schlechtes Wort über ihn verloren. Sprachen wir in unserer Muttersprache, warf er mir immer wieder vor, dass es um ihn ginge. Außerdem hatte er nach jedem Besuch bei meinen Eltern – die ich, wie immer, alleine machte – Bedenken, dass sie mich gegen ihn aufgebracht hätten. Denn nach diesen Besuchen fand er immer einen Grund, um einen Streit zu beginnen, der (selbstverständlich) von mir ausging.
Mein Freundeskreis
Da ich in meiner Jugend in einigen Vereinen tätig war, hatte ich einen großen und wunderbaren Freundeskreis. Natürlich hatte ich ganz enge Freunde, solche, mit denen man gut feiern konnte, und andere, die man eher Bekannte nannte. Die ersten Jahre verliefen gut. Egon war oft dabei, wenn wir uns trafen. Er verstand sich mit allen unheimlich gut – so charmant, wie er bis heute nach außen wirkt.
Auch da schlich sich langsam die Abneigung ein. Alle männlichen Freunde, mit denen ich mich schon seit vielen Jahren gut verstand, wurden schlechtgeredet. Klar – heute weiß ich: Das waren alles Konkurrenten. Dann begann die Phase, in der er immer seltener fortgehen wollte, um Menschen zu treffen. Ich fügte mich und blieb bei ihm – wie es eine gute Partnerin eben macht.
Auch hier begann sich langsam Propaganda gegen meine engsten Freundinnen einzuschleichen. Es ging dann tatsächlich über Jahre hinweg so weit, dass ich Kontakte abgebrochen habe. Heute, über 20 Jahre später, habe ich zwei enge Freundinnen, die mich nie aufgegeben haben. Und… ach ja, das war’s. Alle anderen Kontakte sind langsam, aber konsequent abgebrochen.
Aber wie ist das möglich?
Jeder Mensch, der nie in so einer Beziehung steckte, wird sich denken: Ich lasse mir doch niemanden verbieten. Ich kann nachvollziehen, dass das schwer verständlich ist. Ich habe versucht, es zu analysieren:
Ich war erst 19, als wir zusammenkamen. Ich denke, ich war viel zu jung und unerfahren und habe immer zu ihm aufgesehen. Er war schließlich acht Jahre älter und erfahrener.
Ich hatte aus der Vorbeziehung ein gebrochenes Herz, und Egon war doch der Ritter in der schimmernden Rüstung, der mich gerettet hat.
Man wird 24/7 beeinflusst und bearbeitet, bis man glaubt, was einem gesagt wird.
Es geschah nicht von heute auf morgen. Das dauerte gut fünf, sechs Jahre. Was ich damit sagen will: Man wird nicht unter Druck gesetzt. Man wird einfach so lange überzeugt, bis man zum Teil dieselbe Meinung hat. Oder man verzichtet ihm zuliebe auf einiges – auch, um den Frieden zu wahren.
Heute, mit über 40, weiß ich, was damals passiert ist. Ich weiß, wie naiv ich war, und ich weiß, was ich alles für ihn aufgegeben habe. Fakt ist: Ich hätte die Sache wahrscheinlich heute durchschaut. Aber ich denke, das ist auch so, weil ich vieles aus dem Leben und dieser Beziehung gelernt habe.
Wieso ich das Thema aufgegriffen habe?
Mir ist wichtig, viele zu erreichen – und wenn möglich, vor den gleichen Fehlern zu bewahren. Ich wäre damals wahrscheinlich auch beratungsresistent gewesen, wenn mich jemand darauf angesprochen hätte. Aber vielleicht kann ich jemandem die Augen öffnen.
Unsere Geschichte ging weiter.
Wie wir unsere gemeinsame Zukunft planten?
Was daraus wurde?
Wie es lief?
Was ich noch alles dafür aufgegeben habe?
Das erzähle ich dir im nächsten Kapitel.
Bis dahin kannst du mir gerne folgen - ich gebe dir Bescheid, wenn die Geschichte weitergeht Reset & Lumira (@resetandlumira) • Instagram-Fotos und -Videos